Zum Beispiel sind im Wochenbericht des RKI vom 7.7.2022 folgende Zahlen zu den Neuaufnahmen auf Intensiv zu zu finden: 14% ungeimpft, 86% geimpft (S. 18). Das entspricht in etwa der durchschnittlichen Impfquote in Deutschland zu diesem Zeitpunkt (vgl. z.B. den Monatsbericht zur Impfeffektivität vom 7.7.2022, S. 6). Was kann daraus über die Impfeffektivtät geschlossen werden?
Eine naheliegende Interpretation ist, dass die Impfeffektivität gegenüber schweren Verläufen etwa 0 ist: Denn wenn das Verhältnis von Gimpften zu Ungeimpften auf Intensiv der allgemeinen Impfquote entspricht, ist wohl nichts gewonnen.
Gegen diese Interpretation wird eingewendet, dass die Altersstruktur zu berücksichtigen ist: Die Alten haben eine höhere Impfquote und bekommen öfter schwere Verläufe und landen damit öfter auf Intensivstationen. Wenn nun Durchschnittswerte über die gesamte Bevölkerung betrachtet werden, dann können positive Impfeffektivitäten bei den Alten durch die geringere Impfquote bei den jüngeren Jahrgängen und deren sowieso geringere Wahrscheinlichkeit auf Intensiv zu landen, verwässert werden.
Ist da was dran? Wie stark ist dieser Effekt? Was kann aus dem Verhältnis von Geimpften und Ungeimpften bei den Neuaufnahmen im Vergleich zur Impfquote über die Impfeffektivität geschlossen werden?
Kleines Modell
Um dies zu überprüfen, schraube ich ein kleines Tabellenkalkulations-Modell zusammen (LibreCalcTabelle ods). Die Bevölkerung wird durch 7 Altersklassen dargestellt, von denen die wichtigsten 18-39, 40-59 und 60-80 sind.
Diese sollen aus jeweils 20 Millionen Menschen bestehen.
Nächster Schritt: Altersabhängige Impfquote. Die ältesten sollen die höchste Impfquote aufweisen.
Gewählte Werte: 95% Impfquote für die 60+ Klassen und 80% Impfquote für die 40-59 und 18-39 jährigen. Daraus ergibt sich, dass in der Altersklasse 60-79 Jahre 19 Millionen geimpft sind und 1 Millionen ungeimpft. In den beiden Altersklassen darunter sind es jeweils 16 Millionen geimpfte und 4 Millionen ungeimpfte.
Die durchschnittliche Impfquote beträgt 85%.
Als nächstes braucht es ein Szenario, wieviele Menschen hospitalisiert werden würden, wenn es keine Impfung gäbe. In dieses Szenario soll einfließen, dass alte Menschen eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit haben hospitalisiert zu werden. Als Ausgangspunkt nehme ich die Infektionssterblichkeitsrate (IFR) von Ioannidis, die er bei einer der ersten Wellen abgeleitet hat (auf tkp.at). Die Altersklassen, die er verwendet, unterscheiden sich allerdings etwas von den hier verwendeten. Ich interpoliere über den Daumen gepeilt und komme zu folgender Verteilung:
IFR der Altersklasse 60-79: 3,5%.
IFR der Altersklasse 40-59: 0,09%.
IFR der Altersklasse 18-39: 0,015%.
Nächster Schritt: Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, eine Infektion zu bekommen? Ich wähle einen Multiplikator so, dass dieser mit der IFR und mit der Modellbevölkerung multipliziert in etwa wöchentliche Hospitalisierungszahlen ergeben, wie wir sie im Sommer 2022 beobachten. Der Multiplikator ist 3.000 geteilt durch 1 Million oder 0,003.
Nach diesem Szenario landen von der Modellbevölkerung in einer Woche
2.100 Menschen der Altersklasse 60-79 auf Intensiv,
54 Menschen der Altersklasse 40-59 und
9 Menschen der Altersklasse 18-39.
Jetzt kommt die Impfeffektivität ins Spiel. Ich nehme an, dass die Impfeffektivität für alle Altersklassen gleich ist. Anzahl der Geimpften in einer Altersklasse * IFR * Multiplikator * der Impfeffektivtät ergibt die Anzahl der Geimpften, die ins Krankenhaus kommen. Bei den Ungeimpften ist es die Anzahl der Ungeimpften in der Altersklasse * IFR * Multiplikator.
Alle Geimpften summiert und alle Ungeimpften summiert. Daraus lässt sich der Anteil der Geimpften und Ungeimpften an den Hospitalisierungen im Modell errechnen.
Jetzt kommt der spannende Augenblick: Welche Impfeffektivität ist notwendig, damit die durchschnittliche Impfquote (85%, s.o.) und die Quote von Geimpften zu Ungeimpften bei den Hospitalisierungen übereinstimmen?
Antwort: ungefähr 65%.
Erstes Fazit: Ja, die Alterstruktur und die altersunterschiedlichen Impfquoten machen einen Unterschied und sind bei der Interpretation des Verhältnisses von Geimpften zu Ungeimpften Hospitalisierten zu berücksichtigen. Aus der Gleichheit der durchschnittlichen Impfquote mit dem Verhältnis der geimpften zu ungeimpften Hospitalisierten folgt nicht, dass die Impfeffektivität 0 ist.
Sensitivitätsanalyse
Was passiert, wenn die IFR der Alten nicht 3,5% ist, sondern nur doppelt so hoch wie in der Altersgruppe darunter, also zum Beispiel 0,2%? Dann sinkt die ausgleichende Impfeffektivität von 65% auf ca. 35%.
Was passiert, wenn die Impfeffektivität mit 0 angenommen wird? Dann erhöht sich der Anteil der Geimpften an den Hospitalisierungen auf 95%. Das entspricht der Impfquote in der Altersklasse 60–79.
Fazit:
- Die alten Geimpfen dominieren die Hospitalisierungen, sofern keine hohen Impfeffektivität vorliegt.
- Als Indikator für eine negative Impfeffektivität schlage ich folgende Daumenregel vor: Wenn der Anteil der Geimpften an den Hospitalisierungen größer ist als die Impfquote in der Bevölkerung 60+, dann spricht dies für eine negative Impfeffektivität.